«Kultiviertes Fleisch» in der Schweiz
1. Einordnung
Kultiviertes Fleisch (auch als Laborfleisch oder In-vitro-Fleisch bezeichnet) ist Fleisch, das aus tierischen Zellen im Bioreaktor gezüchtet wird. Es handelt sich um eine technologische Entwicklung, die das Potenzial hat, langfristig neue Produktionsformen für tierische Eiweisse zu schaffen. Die Technologie befindet sich noch im Entwicklungsstadium, sowohl was Produktion, Zulassung als auch Marktakzeptanz betrifft.
2. Marktsituation und Zulassung
Weltweit sind bislang nur vereinzelte Produkte auf dem Markt zugelassen (z. B. Singapur, USA), in Verkehr gelangen sie meist in kleinen Mengen und zu sehr hohen Preisen. In der Schweiz wie auch in der EU ist kultiviertes Fleisch derzeit nicht zugelassen. Das Verfahren fällt unter die Verordnung für neuartige Lebensmittel und unterliegt einer umfassenden Sicherheitsprüfung, die mindestens 18 Monate dauert. Im Juli 2023 hat «Aleph Farms» in Zusammenarbeit mit Migros als erstes Unternehmen ein Zulassungsgesuch zur Vermarktung von kultivierten Rindssteaks beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) eingereicht – das erste Gesuch dieser Art in Europa. In der EU wurde im Juli 2024 zudem das erste Gesuch für kultivierte Gänseleber (Produzent: «Gourmey») bei der Europäischen Kommission eingereicht. Bisher wurden jedoch keine Produkte zugelassen.
3. Unsere Haltung
Proviande beobachtet die Entwicklungen rund um kultiviertes Fleisch aufmerksam und differenziert. Als Branchenorganisation bekennen wir uns zu einer nachhaltigen, tierfreundlichen und qualitativ hochstehenden Fleischproduktion in der Schweiz. Kultiviertes Fleisch kann mittelfristig ergänzende Optionen schaffen, insbesondere wenn es darum geht, die weiterhin zunehmende Weltbevölkerung mit genügend hochwertigem tierischem Eiweiss zu versorgen. Gleichzeitig stellen sich aus unserer Sicht zentrale Fragen, etwa:
• Wie wird sichergestellt, dass das Produkt sicher, nährstoffreich und transparent deklariert ist?
• Welche Auswirkungen hat es auf die einheimische Produktion, die Tierhaltung und die Wertschöpfung im Inland?
• Wie nachhaltig sind Herstellung und Energieverbrauch tatsächlich in grösserem Mass-stab?
• Welche Erwartungen stellen Konsumentinnen und Konsumenten an ein Produkt, das zwar als Fleisch gilt, aber nicht aus einem Tier stammt?
4. Wichtigste Positionen von Proviande
• Proviande unterstützt transparente Kennzeichnungspflichten für kultiviertes Fleisch, wie sie aktuell in parlamentarischen Vorstössen gefordert werden.
• Proviande spricht sich gegen irreführende Bezeichnungen oder Abbildungen aus, die Konsumentinnen und Konsumenten täuschen könnten.
• Proviande erwartet eine Gleichbehandlung mit einheimischer Produktion: Wer sich auf den Begriff „Fleisch“ beruft, soll sich auch an die hohen Standards halten, die für Fleisch aus Tierhaltung gelten.
• Proviande steht für Wahlfreiheit: Wer sich bewusst für Fleisch aus der Schweiz entscheidet, muss sicher sein können, dass dieses aus der gewohnten Wertschöpfungskette stammt.
5. Fazit
Kultiviertes Fleisch ist kein kurzfristiger Wendepunkt. Es dürfte mittelfristig als Ergänzung im Markt auftreten, nicht als Ersatz. Die bestehenden Fragen zur technischen Umsetzbarkeit, Nachhaltigkeit, gesellschaftlichen Akzeptanz, Preisgestaltung und behördlichen Behandlung sind noch nicht abschliessend beantwortet. Proviande wird sich weiterhin sachlich und faktenbasiert mit dem Thema auseinandersetzen und die Entwicklungen im Interesse der gesamten Fleischwirtschaft begleiten.